Google Fiber könnte die Spielregeln des Netzes auf den Kopf stellen

Interaktive Brillen, selbstfahrende Autos oder plattformübergreifender Videochat – der Suchmaschinen- und Werbekonzern Google macht derzeit mit zahlreichen Neuentwicklungen Schlagzeilen. Eine könnte das Unternehmen aus Mountainview in Kalifornien jedoch stärker verändern als die erstgenannten Beispiele: Google Fiber, das superschnelle Glasfaserinternet für Privatanwenderinnen und -Anwender.
Klingt nach einer kleinen Meldung, aber der Schritt ist ein Paradigmenwechsel. Denn statt Plattformen anzubieten (Werbung, Web-Suche, Karten, Videos, Mobilgeräte), wird Google zu einem Internet-Provider. Und zwar zu einem, der die Spielregeln nachhaltig verändern könnte.

Google Fiber Monatagefahrzeug in den USA

Einfach ein neues Kabel an die Telefonmasten – und fertig ist die Glasfaserverbindung bis ins Haus. Screenshot: Google Fiber Video

„Fiberhood“-Fieber in Kansas City

Ein Blick zurück ins Frühjahr 2011: Über 1100 US-Städte hatten sich um das Projekt Google Fiber beworben, gefeiert wurde schließlich in Kansas City (Kansas). Die Stadt sollte als erste flächendeckend mit dem Glasfasernetz ausgestattet werden. Die Nutzer sollten in ihren Häusern die schnellste Internetverbindung der Welt erhalten: bis zu einem Gigabit pro Sekunde (1 Gb/s) synchron. Das ist im Download 50-100-mal und im Upload bis zu 500-mal höher als das, was US-Kunden sonst durchschnittlich zur Verfügung steht.
Davor galt es für die Bürger noch einige Hürden zu meistern: In den einzelnen Stadtteilen („Fiberhoods“) mussten sich ausreichend Interessenten finden, die bereit waren, den Anschlusspreis und die Monatsgebühr von 70 US-Dollar zu zahlen (120 US-Dollar inklusive Fernsehen). Die Resonanz war überwältigend. In der von großen sozialen Unterschieden geprägten Stadt fanden sich Bürgerkomitees zusammen, die von Tür zu Tür gingen und Unterschriften für Google Fiber sammelten.

11 Milliarden für landesweiten Ausbau in den USA

Schulen, Bibliotheken, Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen können Google Fiber kostenlos nutzen, zudem gibt es eine abgespeckte Variante (kostenloser 5 Mb/s-Anschluss für einen einmaligen Anschlusspreis von 300 US-Dollar). Im November 2012 wurden die ersten Anschlüsse freigeschaltet. Mittlerweile wurden weitere Städte und Vororte in das Projekt aufgenommen:
• Kansas City, Missouri
• Olathe, Kansas
• Shawnee, Kansas
• Raytown, Missouri
• Grandview, Missouri
• Gladstone, Missouri
• Austin, Texas
• Provo, Utah
Marktforschungsunternehmen haben errechnet, dass der flächendeckende Ausbau für die kompletten USA rund elf Milliarden US-Dollar kosten würde.

Mehr als ein Versuchsballon

Ob es dazu kommen wird, ist noch offen. Einen Masterplan scheint es nicht zu geben, jedoch hat Google bei ähnlichen Projekten in der Vergangenheit oft einen langen Atem bewiesen.
Was aber bringt das Projekt dem Suchmaschinenkonzern? Dass es sich nicht nur um einen Versuchsballon handelt, scheint mittlerweile klar zu sein. Ein anderer Grund könnte sein, dass Google den anderen Internetprovidern – vor allem dem Kabelgiganten Comcast – Beine machen möchte. Denn noch sind viele Anschlüsse in den USA langsamer als in Europa.

Langsames Netz = weniger Anzeigen

Der wahre Antrieb könnte jedoch auch dieser sein: Google profitiert davon immens, ja: ist darauf angewiesen, dass Kunden schnell auf Netz-Inhalte zugreifen können, vor allem auf Videos der Youtube-Plattform. Denn nur dann können sie auch die von Google vermarkteten Werbeanzeigen sehen.

In Zeiten, in denen Netzneutralität keine Selbstverständlichkeit mehr ist, müssen selbst Netzgiganten wie Google fürchten, dass der Transport ihrer Inhalte im weltweiten Datenverkehr entweder verlangsamt werden könnten – oder dass sie sogar ganz blockiert werden. Jüngst lieferte ein französischer Internet-Anbieter DSL-Modems an seine Kunden aus, in deren Software ein Werbeblocker eingebaut und bereits aktiviert war (http://www.myce.com/news/french-isp-free-installs-an-adblocker-into-their-modems-65501/). Das Unternehmen, das am meisten unter solchen „Ad-Blockern“ zu leiden hätte, ist: Google. Und eben deshalb könnte Fiber mehr als nur kleiner Feldversuch sein.

Lernen von Coca Cola

Der Kampf um die Hoheit über die Internetleitungen, die zum Großteil aus Kupfer und Glasfaser bestehen, nimmt an Schärfe zu. Kein Wunder. Die Dimension lassen sich mit einem historischen Beispiel klar machen: Der US-Getränkehersteller Coca Cola hatte zunächst seine Limonaden jahrzehntelang über die üblichen Vertriebswege verkauft, vor allem in kleinen Läden. Aber erst als das Unternehmen flächendecken Automaten aufstellte – und damit den kompletten Vertriebsweg kontrollierte – konnte Coca Cola seine fast marktdominierende Stellung erreichen.
Bei Google ist es etwas anders herum: Weil der Konzern die Vertriebswege nicht kontrolliert, sondern beim Transport seiner Inhalte auf andere angewiesen ist, muss Vorstandschef Larry Page mit der Unsicherheit leben, dass Kabelfirmen wie Comcast von heute auf morgen die Regeln ändern könnten. Google Fiber könnte dieses Risiko aus der Welt räumen.

Der Kunde, das unbekannte Wesen

Allerdings: Mit Google Fiber sowie der Direktvermarktung von Hardware (den Nexus-Smartphones und –Tablets) und digitalen Inhalten (Google Play Store) kommt Google zum ersten Mal in Kontakt mit Kunden, die tatsächlich für Dienstleistungen und Geräte zahlen (müssen). Einen umfassenden Kundenservice oder gar Läden, in denen sich Kunden Hilfe bei Problemen holen können, gibt es jedoch noch nicht. Wer zahlt, der will auch eine adäquate Gegenleistung – für Google ist das eine neue Erfahrung.

Update: Google will offenbar nicht nur in den USA den Netzausbau voran bringen, schreibt Spiegel Online.

Ein Kommentar zu „Google Fiber könnte die Spielregeln des Netzes auf den Kopf stellen

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