Wie kommt eigentlich das Internet in den Zug?

Bahnfahrer kennen das Drama: Kaum ist das Buch aufgeschlagen beginnt irgend jemand im Großraumabteil zu telefonieren. Man fühlt sich gezwungenermaßen hineingezogen in die Niederungen desolater Beziehungs-Geflechte oder die Geschäftsanbahnung aufgeregt plappernder Möchtegern-Startups. Wie schön, wenn dann das verzweifelte und nochmals lautere „Hallo? Hallo?“ andeutet, dass die Technik dem Treiben ein Ende gesetzt hat und nun Ruhe einkehren wird. Mobilfunk auf der Gartenterrasse ist nicht vergleichbar mit einer Funkverbindung im ICE. Aussetzer, Verbindungsabbrüche und instabile Datenraten beim Surfen gehören dazu. Laut den Standards des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI) geht mobiles Internet zwar auch bei Geschwindigkeiten bis 250 km/h, wer öfters im ICE unterwegs ist, stand aber sicherlich schon einmal nachdenklich vor der Werbetafel, die WLAN im Zug verheißt. Fragt sich nur: Wie kommt das Internet eigentlich in den Zug? 

Zunächst fast gar nicht: Die Metallkarosserie in Verbindung mit den metallbedampften Fenstern der Wagen verhält sich wie ein Faradayscher Käfig, die Abschirmung im ICE liegt bei über 99%. Zum Einsatz kommen deshalb Intrain-Repeater, die Mobilfunk-Signale bidirektional verstärken. Plätze in den entsprechenden ICE-Wagen (Handybereich) können ebenso wie solche in Ruhezonen gezielt gebucht werden und sind an einem Mobiltelefon-Piktogramm erkennbar. Piktogramm Handybereich Auch in manchen IC sind Repeater in denjenigen Wagen eingebaut, in denen die Zugbegleiter ihr Abteil haben. Für UMTS im Zug müssen die entsprechenden Module in den Repeatern installiert sein, dies ist aktuell kaum der Fall. Wer also aus dem Zug eine Mail verschicken will, kann dann mit einer langsamen aber stabilen Verbindung rechnen, wenn er Smartphone oder Surfstick UMTS verbietet und stattdessen auf GSM umschaltet.
Die Antennen befinden sich zum einen für die Verbindung zu den Mobilfunkbetreibern auf dem Zugdach, zum anderen als Schlitzkabel innen an der Wagendecke. Schlitzkabel wirken als langgezogene und damit gleichmäßiger abstrahlende Antennen, deren axiale Schlitze als Aperturstrahler eine komfortable Mobiltelefonverbindung im Wagen ermöglichen.

Wir müssen draußen bleiben

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Für komfortabel schnelles Internet im Zug verspricht die Deutsche Bahn, die Internet-Versorgung in ihren Zügen auszubauen – dies jedoch nicht durch forcierten Ausbau UMTS-fähiger Intrain-Repeater, sondern als WLAN. Bislang sind knapp 100 Züge mit entsprechender Technik ausgestattet, sie funktioniert bereits auf einigen Teilstrecken. Stück für Stück soll sich die Lage verbessern, bis 2015 sollen alle ICE mit der neuen Technik ausgestattet sein. Die Bahn AG kooperiert mit der Deutschen Telekom, für 4,95 € pro Tag soll es dann Internet in der gesamten ICE-Flotte geben. Auf den Punkt gebracht heißt das: GSM-basierte Internet-Verbindungen im Tempo der 1990er reicht die Bahn via Intrain-Repeater in ihre Wagen weiter, zu deutlich wäre der Unmut der Reisenden, wenn die liebgewordenen Reisefernsprecher in der Jackentasche just in der Bahn ihren Dienst versagen würden. „Wir müssen draussen bleiben“ heißt es allerdings für UMTS oder gar LTE, wer zeitgemäß aus dem Faradayischen Datenkäfig der Bahn ins weltweite Netz will, wird zur Kasse gebeten und darf sein Geld in den virtuellen Bahn/Telekom-Schlitz werfen.

Die Technik

Railnet, das Zug-WLAN, hat nun schon einige Jahre auf dem Buckel: 2005 vom damaligen Bahnchef Mehdorn angekündigt fahren seit einigen Jahren ausgewählte Züge auf ausgewählten Strecken mit dem Netz-Angebot durchs Land. Bewährt hat sich hierbei die Bereitstellung des Internet-Angebots auf der Grundlage mehrerer Techniken, ebenfalls unter Verwendung von Schlitzkabeln entlang der Bahnstrecken, insbesondere in Tunneln:

  • Zum einen erfolgt die Netzanbindung des Zuges auf der Basis von UMTS-Technik. Hierbei spielt bei hohen Geschwindigkeiten die Lage zum Sender eine entscheidende Rolle: Liegt der Sender im 90°-Winkel zur Fahrtrichtung, ist die relative Geschwindigkeit zwischen Zug und Sender deutlich niedriger. Kurze Verbindungs-Abbrüche sind hier üblicherweise Handover-Probleme, also unsauberes Weiterreichen der Verbindung von einem Sender zum nächsten.
  • Darüberhinaus wird die Technik Flash-OFDM eingesetzt. Sie verwendet die Frequenzen des ehemaligen C-Netzes im Bereich 450 MHz. Bedingt durch die niedrigere Frequenz sind größere Zellradien möglich, die Latenzen liegen bei nur wenigen Millisekunden, hohe Datenraten sind auch bei hohen Reisegeschwindigkeiten möglich. Die Technik wird durchweg von der US-Firma Flarion geliefert, am Rande scheint auch Siemens beteiligt zu sein. Premiere dieser Technik war im Jahr 2005 bei der Telekom-Tochterfirma T-Mobile Slovakia.
  • Und schließlich fährt in jedem Zug ein Rechner mit, der als Proxy-Server die am häufigsten aufgerufenen Seiten bereithält. Eine bewährte Technik, die an vielen Stellen im Netz eingesetzt wird mit dem Ziel, Netzlast zu reduzieren.

In der Praxis führt diese Kombination verschiedener Techniken dazu, dass das Lesen von Mails, Surfen und Twittern im Zug-WLAN anstandslos funktioniert, während bei Audio- und Videostreaming Aussetzer zu bemerken sind. Auch für Online-Spiele sind die Verbindungen nicht wirklich tauglich. Eine Erfahrung, die der Bahnfahrer übrigens mit den Zeitgenossen auf der Autobahn teilt: Auch die Internet-Verbindung des WLAN in aktuellen Oberklasse-Fahrzeugen weist nicht die Zuverlässigkeit der häuslichen DSL-basierten Technik auf.

Geschäftsmodelle?

Wer also unterwegs per Bahn Geschäfts- oder Sozialkontakte pflegen will ohne Mitreisende zu nerven kann sich wahlweise an den französischen Nachbarn orientieren, wo die Bord-Ansage im TGV statt Thank you for travelling with … den Hinweis enthält, dass Telefongespräche (egal in welcher Lautstärke) doch bitte außerhalb der Abteile respektive Großraumwagen geführt werden mögen. Oder man verbindet sein Mobilgerät mit dem WLAN im Zug und verlegt sich auf die Schriftform: sbb_public_wlanDer Hauptnachteil scheint hier mittlerweile nur noch der Preis zu sein. In der Schweiz beginnt die SBB, WLAN kostenlos bereit zu stellen, in anderen Ländern surft man schon länger im Zug kostenlos. Als Stammkunde der Bahn ist der Autor auf die ICx-Züge gespannt, die ab 2016 einen Modernisierungsschub im Fahrzeug-Park der Bahn einschließlich Netzzugang bringen sollen. Sollten die neuen Züge dann als Pflichtprogramm heiße Sommertage ohne Probleme ihrer Klimaanlagen überstehen, kalte Wintertage ohne eingefrorene Bremsen – dann wäre als Kür auch WLAN im Zug mittlerweile state of the art. Die Westbahn in Österreich oder Nuovo Trasporto Viaggiatori in Italien machen es vor. Kostenlos. A propos: An einem meiner Seminar-Orte gibt es ein Hotel, das 4,95 € pro Nacht für den WLAN-Zugang berechnet. Dort habe ich nur ein mal übernachtet. Mein Vorschlag, liebe Bahn-AG: Verzichtet auf die Übernahme der nächsten europäischen Bahngesellschaft und steckt das Geld hier in Netz-Pflege und -ausbau. Analog und digital. Eigentlich ist beides euer Pflichtprogramm.

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