Haben wir die eierlegende Wollmilchsau gefunden? Fast scheint es so. Mit BigBlueButton verwendet die ARD.ZDF medienakademie ein Webkonferenz-System, das kaum Wünsche offen lässt: Es läuft „einfach so“ im Browser, ist wunderbar datensparsam und sicher, open source und auch noch kostenlos. Aber eins nach dem anderen.
Das Problem bei Zoom Meetings, WhatsApp und Konsorten
„Zoom“ kennen seit diesem Frühjahr Viele. Der Dienst funktioniert gut, auf über 100 Millionen Smartphones ist die App installiert, unzählige Anbieter von Webinaren oder Videokonferenzen haben für uneingeschränkte Nutzung Lizenzen gekauft. Problematisch an Zoom-Videokonferenzen sind jedoch bekannt gewordene Sicherheitslücken und Datenschutzbedenken gegenüber dem kalifornischen Betreiber der Plattform. Die ARD berichtete darüber, vielerorts – von der NASA bis zum Auswärtigen Amt – ist die Nutzung von Zoom verboten. Stichworte sind Datenweitergabe an Dritte wie etwa Facebook sowie unsichere Verschlüsselung. Auch Microsoft 365 bietet mit „Teams“ ein Konferenz-Tool an. Ganz abgesehen von den altbekannten Platzhirschen WhatsApp (Facebook), FaceTime (Apple) oder Skype (Microsoft) für kleinere Audio- und/oder Video-Meetings. Sie haben ihren Markt gefunden – mit dem Schönheitsfehler, dass all unsere Gesprächs-Daten auf fremden Festplatten landen, über die wir nichts Genaueres wissen. Eine Überlegung, die schon zur Entwicklung von Nextcloud und der ARD-ZDF-Box geführt hat als Alternative zu Dropbox oder anderen Cloudspeichern.
Jitsi: Klick und los – mit einer Schattenseite
Wo treffen wir uns nun also bequem, performant und sicher? Wenn‘s einfach nur um ein Treffen im Netz mit Ton und Video geht? Dann schaut Euch mal Jitsi Meet an. Für die kleine Besprechung ohne viel Vorlauf und Brimborium taugt‘s hervorragend. Mit einer Handvoll Teilnehmern und solider Internetverbindung bekommt ihr mit minimalstem Aufwand von jetzt auf sofort einen Video Chat aufgebaut. Jitsi Meet läuft ohne jegliche Installationen im Browser, wer den Videochat beginnt läd die anderen Teilnehmer*innen einfach per Link ein. Die Software, die der Anbieter des Video-Chatraums auf seinem Server installiert ist Open Source, kritische Geister können also darauf vertrauen, dass keine ungebetenen Gäste mitlauschen. Und die ganz sicherheitsbewussten Zeitgenossen nehmen die Jitsi-Serversoftware und packen sie auf einen eigenen Server. Wem das aber zu aufwändig ist sucht sich eine bestehende Jitsi-Installation, beispielsweise in einer nahegelegenen Uni. Wie performant der dortige Server ist seht ihr im Jitsimeter. Nachteile von Jitsi Meet: Es taugt nur bis zu einer Teilnehmergröße von unter 10 Personen und es ist wenig tolerant gegenüber schlechten Internetverbindungen bei den Teilnehmern. Verwenden solltet ihr Chrome oder Firefox.
BBB: Die eierlegende Wollmilchsau?
Wir – ARD.ZDF medienakademie – haben uns entschieden. Und wir bereuen nichts. BigBlueButton heißt unsere Wahl, unsere Lernplattform „Campus“ verwendet „BBB“. Olaf Schott, Fachkoordinator IT an der Medienakademie: „BigBlueButton ist ein Konferenzsystem, das für den Schulungsbetrieb optimiert ist. Es besteht aus diversen Open-Source-Komponenten, die alle state-of-the-art sind und aktiv weiterentwickelt werden. Und es lässt sich einfach in andere Anwendungen einbinden, etwa unseren elektronischen CAMPUS, einen selbstgeschriebenen Zugang zu Testräumen.“
Wer an einem Kurs teilnehmen will bekommt einen Einladungslink mit Passwort und ist „drin“. Auf Teilnehmerseite ohne Installation und für Alle ohne Drittanbieter-Schnickschnack. Man kann das Whiteboard nutzen wie früher eine Schultafel, kann in Teilnehmergruppen arbeiten und eben die Videokonferenz benutzen.
Der Transport der Daten zum BBB-Server verläuft verschlüsselt, allerdings liegen die Kommunikations- und Anmelde-Daten auch bei BBB auf einem Server. Wer also sein Webinar oder die Videokonferenz auf dem BigBlueButton-Server eines Fremdanbieters durchführt muss sich einen vertrauenswürdigen auswählen. Das sollte hierzulande DSGVO-konform möglich sein, dennoch hat sich die ARD.ZDF medienakademie entschieden, einen eigenen Server aufzusetzen. Für Olaf Schott kein Problem: „Wir können das System selbst in Deutschland hosten – und damit sind wir in Sachen Datenschutz auf der sicheren Seite.“
Härtetest
Auf der Akademie-Plattform fand kürzlich eine Konferenz statt, ein erster Härtetest mit über 200 Teilnehmer*innen. Ohne Probleme: Durch‘s Netzwerkkabel des Servers rauschten 200 Mbit/s, das packte der Anschluss entspannt. Auf dem Server selbst waren 10G von 64G RAM im Einsatz, der Prozessor des Servers meldete Loadavg 50 – bei 12 Kernen ist das nicht ohne, aber ging. Nur der Testlauf ruckelte zunächst unschön über die Bildschirme. Herzklopfen bei den Admins. Und eine entspannte Lösung: „Verwendet das Podium bitte mal den Chrome-Browser?“ Uff. Das war‘s. (Wir lernen: Bitte Chrome oder Firefox verwenden.) Also eine eierlegende Wollmilchsau mit ein paar stacheligen Borsten? Mag sein, aber BigBlueButton kann wirklich nichts dafür, wenn manche Browserhersteller gängige Standards unzureichend implementieren. Für die Nerds unter uns: Technisch läuft das Ganze auf der Grundlage der wirklich nicht mehr brandneuen, offenen Standards HTML5 und WebRTC. Egal ob auf Computer, Smartphone oder modernem Fernseher.
Und wenn Menschen wie Du und ich BigBlueButton verwenden wollen? In Zeiten des #socialdistancing und über über Ländergrenzen hinweg? Für die Uni oder die Dienstbesprechung? Testet mal Senfcall, das dauert höchstens eine Minute. Senfcall ist BigblueButton. Eine Installation „für Alle“. Es läuft seit 2. Mai im Rechenzentrum hiesiger Universitäten, wurde von Studierenden der Unis Darmstadt und Frankfurt auf die Füße gestellt, Mitte Mai war Senfcall im Deutschlandfunk. Senfcall ist kostenlos und mit der Nase ganz weit vorn in Sachen Datenschutz.